Seit Juli 2018 habe ich meinen Gesellenbrief als Orgelbauer. 2014 machte ich mein Abitur. Mir wurde während der stressigen Prüfungszeit und auf meinen Reisen durch Argentinien, Spanien und Marokko klar, dass ich kein Schreibtischmensch bin, gerne und viel reise und etwas Bleibendes mit den Händen schaffen will.
Zunächst überlegte ich, eine Ausbildung zum Zimmerer zu beginnen, wegen des aufregenden Kletterns in großen Höhen. Andererseits interessierten mich alte Klaviere mit ihrer komplexen Mechanik sehr, was ich einer Bekannten erzählte. Sie legte mir ein Praktikum bei Orgelbauer Gunnar Schmid aus Kaufbeuren ans Herz. Dem einwöchigen Praktikum folgte einige Monate später eine erste gemeinsame Orgelreinigung. Dabei packte mich plötzlich die Begeisterung. Mir wurde klar: Ich will Orgelbauer werden.
Die Ausbildung zum Orgel- und Harmoniumbauer dauert normalerweise 3,5 Jahre.Aufgrund meines Abiturs konnte ich auf 3 Jahre verkürzen. In dieser kurzen Zeit kann man natürlich nur die Grundlagen eines so komplexen Handwerks erlernen; einen guten Orgelbauer macht auch seine jahrelange Erfahrung aus. Eine Orgel besteht hauptsächlich aus den Materialien Holz, Metall, Filz und Leder. Etwa die Hälfte der Pfeifen ist aus Metall, die andere aus Holz. Spieltisch, Gehäuse und Windladen sind ebenfalls zum größten Teil aus Holz gefertigt.
Die Windladen bilden einen sehr wichtigen und zugleich einen sehr komplexen Bestandteil der Orgel. Auf ihnen stehen die Pfeifen, in ihnen wird der Wind über eine Vielzahl an Ventilen und Holzkanälen den Pfeifen zugeführt. Bei einer mechanischen Orgel werden diese Ventile vom Spieltisch über dünne Holzleisten, Abstrakten genannt, und eine Vielzahl von Winkeln und Ärmchen angesteuert. In pneumatischen Orgeln geschieht diese Steuerung durch Luftimpulse.Elektrische Orgeln arbeiten mit Kontakten an der Taste, die über Kabel Elektromagneten in der Orgel betätigen. Im Spanischen heißt die Windlade schlicht „el Secreto,“ zu Deutsch „das Geheimnis.“ Ich finde, dieser Name passt so richtig gut zu ihr.
In der Werkstatt von Thomas Gaida werden Orgeln gebaut, deren Tonsteuerung elektronisch erfolgt.Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben; ich finde das total revolutionär.
Alle 20 Jahre sollte eine Kirchenorgel geputzt werden. In vielen Kirchengemeinden wird dieses Intervall oft aus Geldmangel oder Sparsamkeit deutlich überzogen. Mein Meister Gunnar Schmid und ich sind hier, um Thomas Gaida und seinem Team beim Ausbauen der Orgelpfeifen zu helfen, damit eine gründliche Reinigung aller Bestandteile der Orgel erfolgen kann. Dazu wurde auch das Gerüst rund um die Orgel errichtet. Es verlangt ein gehöriges Maß an Schwindelfreiheit, auf ihm nach ganz oben zu steigen. Das Intonieren, also die Klangeinstellung der Orgelpfeifen nach dem Wiedereinbau, ist eine der schwierigsten Arbeiten als Orgelbauer. Es erfordert viel Geduld, ein gutes Gehör und ein hohes Maß an fachlicher Kompetenz. Für ein Register mit 56 Pfeifen rechnen gute Orgelbauer etwa einen Tag ein, es kann aber auch länger dauern.
Für mich ist die reizvollste Aufgabe im Orgelbau die Fehlersuche an älteren pneumatischen Instrumenten. Hier ist viel Vorstellungsvermögen gefragt, um nachzuvollziehen, wie der Erbauer vor etlichen Jahrzehnten die Tonsteuerung konzipiert hat. Mich packt dann der Ehrgeiz, zu untersuchen, zu überlegen und zu verstehen, bis eine Lösung gefunden ist, damit wieder alles so funktioniert, wie es gedacht ist. Dass man dabei oft durch jahrzehntealten Staub krabbeln muss, ist halb so schlimm, denn jede alte Orgel ist ein Stück Zeitgeschichte und die meisten von ihnen schaffen es, mich durch ihren Klang und ihre Konstruktion zu verzaubern und zu faszinieren.
Heute ist mein letzter Arbeitstag bei Gunnar Schmid. Ich bin ab November in einer anderen Firma tätig, um neue Erfahrungen zu sammeln und weiter zu lernen. Irgendwann werde vielleicht auch ich den zweijährigen Meisterkurs belegen und mich der sehr anspruchsvollen Prüfung stellen.
Heute gibt es in Deutschland noch etwa 400 Betriebe, aber nur wenige Firmen haben mehr als 15 oder 20 Mitarbeiter. Viele Firmen sind 1-Mann-Betriebe, darum hilft man sich auch oft aus, wenn größere Aufträge anstehen. Der deutsche Orgelbau ist übrigens seit Ende 2017 immaterielles Weltkulturerbe der UNESCO.
Orgelbauer Martin Häusler, München